4.8.20
Was angekündigt wurde ist eingetreten. Mitten in der Nacht hat es aufgehört zu regnen, Schneefall setzte ein und verwandelte die Umgebung Anfang August in eine Winterlandschaft. Als wir uns 8.00 zum Frühstück mit allen Mitarbeitern versammeln, sind die meisten der über 100 Nächtigungsgäste schon unterwegs in die neblig grau weiße Wetterküche. Wir beginnen unsere Dienste. Andrea in der Küche, Tino mit Manu und Seppel in den Lagern und Zimmern. Putzen, desinfizieren, Matratzen neu beziehen, saugen und wischen sind die prickelnden Aufgaben. Mittagessen gibt’s für alle Mitarbeiter gemeinsam gegen 12.30 Uhr. Draussen schneits inzwischen weiter. Am Abend gibt’s die ersten Zapfversuche am Tresen mit mittlerem Erfolg. Unterdessen ist der Gastraum knackevoll, laut und stickig bis gegen 22.00 der letzte Gast ins Zimmer verschwindet.
5.8.-7.8.20
Am nächsten Morgen scheint die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Der erste Schnee beginnt zu tauen. Am Morgen das gleiche Spiel: gemeinsames Frühstück, Essen vorbereiten, Zimmer, Lager und Toiletten putzen, am Nachmittag die Einführung ins Materialseilbahn und Quad fahren, Lebensmittel transportieren. Die Tage bis zum Freitag werden immer wärmer, Zeit für kurze Hosen. Die Arbeit im Service am Abend ist sehr angenehm vor allem dann, wenn die Leute im Freien sitzen können. Da die Hütte mehr Schlafplätze als Sitzplätze hat, wird in 2 Schichten gegessen. Am Freitag geht’s zum ersten Mal 5.30 zum Frühstück machen. 6.00 stehen die ersten auf der Matte und 7.30 sind die meisten aus dem Haus.
8.8.-10.8.20
Zeit hier oben wird relativ.
Man beginnt schon kurz zu überlegen, welches Datum und welcher Wochentag heute ist. Ein leicht unsicheres, aber in der Wertung doch eher positives Zeichen der Entschleunigung. Am Abend des 8.8. berichten Besucher über ein leichtes wackeln der Wände und Tische. Ein Erdbeben? Am nächsten Tag berichtet das Radio darüber. Also keine Täuschung. Die Tage sind warm, die Nächte mild, das sommerliche Bergwetter stabil. Im Tal sind es konstant über 30 Grad, an der Hütte um die 20 Grad. Langsam spielt sich das Hüttenleben ein. Die Handgriffe sitzen immer besser, Routine stellt sich ein. Am Samstag feiert Andi, der Hüttenwirt seinen Geburtstag, am Sonntag nimmt er sich Zeit und gemeinsam inspizieren wir die biologische Kläranlage der Hütte. Beeindruckend. Als Hüttenchef musst du der Allrounder sein, technisches Know-how besitzen, menschliche Empathie haben, sozial ökonomisch abwägen können, Kontakte zu den einheimischen pflegen.
Dienstag, 11.8.20
Wir sind nun schon eine Woche hier oben. Das Hüttenteam ist gut zusammen gestellt.
Da ist Caro, die zusammen mit ihrem Freund David aus Spanien auf Weltreise sind, durch Corona gestoppt wurden und nun die Sommerzeit über in der Hütte jobben. David ist Psychologe und lernt so nebenbei Deutsche Sprichwörter
Als nächstes ist Manuela aus der Nähe von Berlin da. Sie hat die Türen der Hütte Anfang Juni vom letzten Schnee befreit und ist die Chefin der Zimmer, Lager und des Abwasch Tresen. In ihrem Hauptleben ist sie beim NABU beschäftigt und feiert enthusiastisch auf der Hütte ihre Überstunden ab.
Basti ist der Gleitschirm Flieger und der schnellste am Berg und im Service. In seinen jungen Jahren hat er schon mehr Jobs kennengelernt als mancher Rentner. Ab September beginnt er eine Ausbildung zum Sport und Fitness Trainer beim DAV in München. Mal schauen wie lange.
Sebbe, 27 Jahre, ist der Allrounder und Fussball Experte der TSG Hoffenheim.
Chris liebt seinen Quad, die Seilbahn und weiss immer wo was steht. Er kennt sich aus mit Lagerbier, Dosen aller Größen, Wäscheklammern und Waschpulver. Geleitet wird die Hüttencrew von Familie Schmid aus Memmingen. Die Familien Konstellation hat zusammen viel Erfahrung im Betrieb einer Hütte. Andi war jahrelang der Hüttenwart der DAV Memmingen. Karin ist seine Tourenbegleiterin nicht nur im Leben. Tochter Kathi managt die Hütte und betreibt als Eventmanagerin noch ein Tanzstudio in Kempten. Anna hat als Köchin die Töpfe und Pfannen unter sich. Während der Hütten Öffnungszeit von Mitte Juni bis Ende September ist das Team nicht nur eine Arbeitsgemeinschaft sondern auch eine Lebensgemeinschaft auf engem Raum mit vielen lustigen, witzigen stressigen, Momenten. Auseinandersetzungen bleiben dabei nicht aus.
Der Tagesablauf der Hüttenarbeit beginnt für 2 Mitarbeiter um 5.30 Uhr mit der Vorbereitung des Frühstücks. Von 6.00 bis 7.30 Uhr gibt’s für die Gäste die erste Mahlzeit am Tag.
8.00 Uhr ist gemeinsames Mitarbeiter Frühstück. Ab 8.30 geht jeder an seine Arbeit. Die Küchen Mitarbeiter bereiten das Abendessen vor und richten das Frühstück für den nächsten Tag. Das Putzduo reinigt bis zum Mittag die komplette Hütte mit Staubsauger und Wischmop, bezieht die Zimmer neu, richtet die Lager und wäscht die Wäsche. Der verantwortliche Hausi befördert Rucksäcke und den Warenbedarf per Seilbahn und Quad bis ins Haus. Um 12.30 gibt’s für alle gemeinsam Mittag. Von 14.00 – ca. 16.30 ist Freizeit bis gegen 17.00 Uhr der ganz alltägliche Wahnsinn beginnt: die erste Abendessenschicht der 60 Gäste mit Getränke Bestellung, servieren des 4 Gänge Menü. In der Küche tobt in dieser Zeit der Kampf mit der richtigen Zuordnung von Teller und Gast. Die Spülmaschine läuft auf Hochtouren und die Füsse der Servierer glühen. Nach 60 Minuten ist Halbzeit. Die Gäste verlassen nach dem Essstress erschöpft den Gastraum. In der 10 minütigen Halbzeit Pause werden die Tische gereinigt und es wird sich mental auf die nächste Schicht mit einem Obstler eingestellt. Die zweite Hälfte ähnelt im Ablauf der ersten. Gegen 19.30 Uhr sind die letzten Dessert verteilt. In der Küche beginnt die große Reinigung. Ab 20.30 gibt’s dann für die Mitarbeiter die Reste des Tages zum Abendessen. Um 22.00 werden die letzten Gäste in ihre Betten befördert und es kehrt Ruhe in der Hütte ein. Bis 8 Stunden später das Tagesspiel von vorn beginnt.
Montag, 17.8.20
Wir sind nun schon 14 Tage auf der Hütte, ohne einen Cent ausgegeben zu haben. Kost und Logis sind für die Mitarbeiter frei. Ansonsten benötigt man nichts, es gibt auch keinerlei Möglichkeit Euronen auszugeben. Auch in dieser Hinsicht eine völlig neue Erfahrung.
Im Einklang mit den Bergen leben auch die Tiere, allen voran die zahlreichen Murmeltiere. Der Boden ist durchlöchert von ihren bis zu 7 m tiefen Gängen. Oberirrdisch sind die Herden von Steinböcken im Nahbereich der Hütte präsent. Hin und wieder versperren sie mit ihren gewaltigen Hörnern und muskulösen Körper Wanderern den Weg und zeigen ihnen wer Chef in der Gegend ist. Natürliche Feinde haben sie nicht, lediglich Lawinen im Winter können gefährlich werden. In der Regel bilden alle männlichen Tiere eine Herde, manchmal kracht es auch zwischen ihnen und mit ihren langen Hörnern müssen sie beweisen wer Herr im Gelände ist.
Im Bereich der Memminger Hütte Kreuzen sich zwei europäische Fernwanderwege. Zum einen ist es der E 4, der in Ost- West Richtung verläuft und Südspanien mit Zypern verbindet, zum anderen ist es der E5, der Konstanz am Bodensee mit der italienischen Stadt Verona verbindet. Letzterer Weg wird auch von sehr vielen Bergschulen verwendet, die ihren Kunden versprechen mit ihnen in 7 Tagen für 1000 € über die Alpen von Oberstdorf nach Meran zu wandern. Häufiger Gepäcktransport und Transport Shuttle mit Bus, Taxi und Seilbahn erleichtern und verkürzen den Weg und das Erlebnis erheblich und spülen so den am Weg gelegenen privat und DAV Hütten zusätzliches Geld in die Kassen. Begleiterscheinungen sind oft volle Hütten und eine technisierte Abfertigung der Gäste.
Abschied aus dem Lechtal
Zuletzt verging die Zeit wie im Flug. Zum Ende unserer Arbeitstage auf der Hütte hatten wir mehr freie Zeit. Diese nutzen wir für Wanderungen in der Gegend. Die Oberlahmspitze wurde bezwungen, die drei Seeköpfe in einer wunderschönen Rundtour geköpft, eine Nacht auf dem Gipfel des Seekogel mit Schlafsack und Isomatte verbracht mit der Belohnung eines satten Sternenhimmels und der morgendlich aufgehenden Sonne. Dann hieß es Abschied nehmen von der Hütte und ihren Bewohnern. In Erinnerung bleiben tolle Natur und Tier Erlebnisse, reiche Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen, die uns in ihrem Leben und Alltag Einblicke gewährten. Zum Abschluss gönnen wir uns bei Sonnenschein und fast 20 Grad mit Rucksack noch einen 6 Stunden veranschlagten Abstecher zur Ansbacher Hütte. Wir bleiben zeitlich Mal wieder deutlich drüber. Wir übernachten dort. Am nächsten Morgen ist der Himmel schon eingetrübt und um 8.00 sind wir in den Schuhen. Der Weg zu unserem Camper durch das Alperschonbachtal ist ein herrlicher Wanderabschluss. Vom Gewitter geduscht erreichen wir nach knapp drei Wochen wieder unser Zuhause. Es hat sich seitdem nicht von der Stelle gerührt und funktioniert tadellos. Wir beschließen noch eine Nacht an Ort und Stelle zu bleiben, wälzen unsere Autobibliothek und legen als nächstes Ziel die Ortler Region als Wandergebiet fest. Um Mitternacht weckt uns noch Basti, der jüngste Mitarbeiter der Memminger Hütte. Wir verabschieden ihn nach München. Für uns geht’s am nächsten Morgen weiter nach Italien.