Sonntag, 25.4.21
Es schüttet in Strömen. Eilig verlassen wir Portugal Richtung spanische Grenze. Wir werden durchgewunken. In die andere Richtung ist die Grenze Corona bedingt noch geschlossen. Wir fahren Richtung Vigo und haben an einem noch offiziell geschlossenen Stellplatz Glück und werden als erste Gäste empfangen. Wir haben alles für uns allein und auch das meiste nötig. Allen voran die Dusche.
Montag, 26.4.21
Nach Santiago de Compostela geht’s nur zu Fuß. Nicht weit von unserem Übernachtungsplatz verläuft eine der zahlreichen Pilgerwege. Wir recherchieren, es sind 100 km Fußmarsch. Machbar. Unseren Camper können wir für die nächsten 6 Tage an einem nahe gelegenen Restaurant stehen lassen. Wir packen die Rucksäcke, los geht’s. Schon bald treffen wir auf die ersten zaghaften gelben Hinweispfeile, die den Weg des Camino anzeigen. Später werden es blaue Keramik Kacheln mit der typisch gelben Muschel sein und den Kilometer Angaben bis zum Ziel sein. Unser Weg führt uns am verlassen wirkenden Flughafen von Vigo entlang, in den kleinen galicischen Dörfern wünscht man uns einen buen Camino (guten Weg) und besorgte Einheimische kritzeln auf ein Blatt Papier eilig eine Wegbeschreibung. Am Nachmittag erreichen wir Redondola und finden eine Bleibe in einem Appartement mit allem Luxus den wir benötigen für eine Nacht.
Dienstag, 27.4.21
Der portugiesische Pilgerweg beginnt in Lissabon und verläuft in Varianten nach Santiago. Gestern sind wir nicht einem Gleichgesinnten begegnet, heute treffen wir lediglich Jenny, eine Schweizerin, die uns entgegen kommt. Herbergen buhlen mit Werbetafeln auf dem Weg um zahlende Pilgerkundschaft, doch die meisten haben geschlossen. Die heutige Etappe ist schön, lang und schmerzhaft für das entzündete Nagelbett am Fuß. Müssen Pilgerwege eigentlich immer weh tun? Iund natürlich bediene auch ich innerlich fluchend das Klischee nach einigen Kilometern warum man sich das eigentlich an tut und welchen Sinn das ganze hat. Eine Antwort auf die Fragen erwarte ich nicht. Vielleicht gibt’s die später. Oder auch gar nicht. In Pontevedra checken wir nach 7 Wanderstunden in einem nagelneuen Hostel ein. Wir sind die Einzigen in einem Schlafsaal für 20 Leute und genießen diese Einzigartigkeit.
Schlafbuchten Wir sind auf dem Camino, nicht beim Marathon
Mittwoch, 28.4.21
Weiter geht’s, immer Richtung Norden. Der Camino wählt dabei die optimale Route. Wenn es geht unbefestigte Wege, ansonsten wenig befahrene Straßen. Irgendwann reicht die Länge des Asphalts, die Füße sind taub und der Tagesakku leer. Wir haben in einer kleinen Pension ein Zimmer in einem Schlafsaal gebucht in dem Wissen, das wir die Einzigen sein werden. Durch ein Gartentor betreten wir ein kleines Refugium. Es ist alles auf Pilgernde ausgelegt: die Liegen im Garten, der Pool, die Sitzecken und die Freundlichkeit der Gastgeber. Ohne Konkurrenz genießen wir alle Aufmerksamkeit.
Donnerstag, 29.4.21
Am Morgen sind wir allein. Unser Frühstück steht im Wintergarten schon für uns bereit, dazu eine Karte mit den Tageswunsch auf Deutsch für unseren weiteren Weg. Begegnungen bereichern das Leben. Direkt vor unserer Pension rasten Soldaten. Für sie ist der Jakobsweg eine Teststrecke für ihre Fitness. Wir halten Smalltalk. Weiter führt der Weg abwechslungsreich immer wieder durch kleine Ortschaften hindurch. Und mit Blick auf Wunde Körperstellen entstehen im Kopf Reime: „Beim Heiterwanger Heiner eiterts heiter weiter.“ Bald darauf hören wir Kindergeschrei aus einem Kindergarten. Wir halten an und in unserer Heimatsprache wird uns ein guter Weg gewünscht. Wir kommen mit dem einzigen Erzieher der Einrichtung ins Gespräch. Vor der Pandemie luden sie regelmäßig vorbei kommende Pilger in den Kindergarten ein, um aus ihrem Land zu berichten. Zwei Kinder kommen an den Zaun, um uns eine Pilgermuschel um zu hängen mit der Bitte, ihnen ein Foto von unserem zu Hause zu senden. Wir sind beeindruckt. Am späten Nachmittag erreichen wir Padron und sind wie immer die einzigen Gäste.
Freitag, 30.4.21
Das Wetter meint es bisher gut mit uns, kein Regen und Wärme für kurze Hosen. Der Pilgerweg ist so gut markiert und ausgeschildert, dass es keine Landkarte benötigt. Am Abend erreichen wir den Vorort von Santiago. Wir haben bei Jenny über Airbnb gebucht. In ihrer Studenten WG ist ein Zimmer frei. Wir sind müde, aber bis spät in die Nacht hinein feiern die Mitbewohner das Leben.
Samstag, 1.5.21
Dafür sind wir morgens die Ersten, die wach sind. Wir frühstücken und schleichen uns aus dem Haus. Nur noch 6 km bis zur Kathedrale. Gegen 11.00 erreichen wir das Ziel. Außer zwei Dänischen Pilgern sind keine weiteren zu sehen. In die Kathedrale selbst dürfen wir unser Gepäck nicht mit hinein nehmen. So bleibt es vor der Tür stehen und unsere Besichtigung hält sich zeitlich in Grenzen. Im Pilgerbüro fehlen uns für das Pilgerzertifikat die Herbergsstempel und so treten wir ohne Heiligenschein den Heimweg an.
Die Bahn bringt uns bis Vigo und der Bus bis zu unserem Camper. Wir bleiben noch eine Nacht beim Restaurant stehen, trinken ein Pilgerbier und genießen die Folkmusiker und Tänzer der Live Musik Band zum ersten Mai.
Sonntag, 2.5.21
Tief im Westen von Spanien geht die Sonne spät auf und erst 22.00 Uhr wird’s dunkel. Gern passen wir uns diesem Rhythmus an, vor allem Sonntags. Wir planen die nächsten Ziele, vervollständigen unseren Blog und ziehen Richtung Norden von dannen.
Montag, 3.5.21
Immer mal wieder kreuzen wir auf unserer Fahrt mit dem Camper unsere Wanderroute auf dem Camino und Erinnerungen kommen wieder. In Pontevedra waschen wir Wäsche und bunkern Lebensmittel. Endstation für heute ist die raue Westküste Galiziens in der Nähe von Fisterra.
Dienstag, 4.5.21
Der Spielplatz neben unserem Camper scheint schon lange nicht benutzt. Dies ändern wir, danach aufgewärmt geht’s zu unserer ersten Tour in die Berge der Rias Gellegas, einer Fjördähnlichen Küstenlandschaft im Nordwesten Spaniens. Die Natur geizt nicht mit ihrer Farbenpracht, gelber Ginster, frühlingsgrüne Blätter, lila Heide, graue Granitblöcke, hellblauer Himmel und dunkelblaues Meer. Dazwischen Bachläufe mit gurgelnd klaren Bergwasser. Diese Landschaft erinnert uns sehr an Irland. Am Abend fahren wir weiter nach Ponteceso in eine kleine, windgeschützte Bucht.
Mittwoch, 5.5.21
In der Nacht hat es geregnet. Unsere Hosen und die Schuhe bekommen dies auf unserer Küstenwanderung zu spüren, denn der schmale Pfad an der Küste entlang ist gesäumt von hohen Farn und Aphrodyl, die die winzigen Wassertropfen an unsere Kleidung weitergeben. Schon nach wenigen Metern sind wir durchnässt. Die wärmende Sonne verhilft unserer Fußnässe zu einer Sauna typischen, abgestandenen Wärme. Am Abend fahren wir weiter in den Nationalpark Frages de Eume.
Donnerstag, 6.5.21
Die Wolken hängen tief im Talkessel. Unter uns rauscht der Bach und die Generatoren vom Kraftwerk summen leise. Trotz des Nebels laufen wir los, Abstieg Richtung Fluss. Nicht weit entfernt liegt auf einem Felssporn ein verlassenes Kloster aus dem 11. Jahrhundert. Teilweise saniert steht für uns alles offen, nur kein Mensch ist da. Wir erproben mit Lauten und Gesängen die Akustik der Kapelle und treiben uns in den zugänglichen Räumen um. Wenn Mauern reden könnten, hätten sie viel zu erzählen. Weiter am Fluss entlang sind Fotomotive keine Mangelware, für Romantiker eine Fundgrube für Poesie und Malerei. Die Nacht verbringen wir an einer Picknickarea am Rio Sur.
Freitag, 7.5.21
Galizien ist dünn besiedelt, der Norden noch mehr. Die Stille und Ruhe der wunderschönen Landschaft tut gut. Ich laufe heute allein den Flussweg entlang. Vereinzelt stehen Männer im Fluss und angeln. Das Wasser ist klar. In regelmäßigen Abständen laden Refugios mit Kamin und trockenen Holz zum übernachten ein. Am Ende des Weges weitet sich der Fluss, Sandbänke werden sichtbar und geht in den Atlantik über. Wir sind am nördlichsten Punkt der iberischen Halbinsel angekommen. Wir fahren zum Leuchtturm hinauf, der Wind bringt unser Auto auch im Stand in Bewegung. Für die Nacht suchen wir uns einen Platz am langen Sandstrand in einer geschützen Bucht. Genügend Treibholz für ein Lagerfeuer ist vorhanden.
Samstag, 8.5.21
Der Samstag wird für uns heute zum Sonntag. Strandspaziergänge, Muscheln sammeln, baden, lesen, recherchieren, Gedanken nachhängen.
Sonntag, 9.5.21
Mal wieder spinnt unser derzeitiges Wohnzimmer. Die Vorglühlampe meldet sich und die Bremsbelege müssen getauscht werden. Wir fahren 200 km weiter nach Gijon um in der größeren Stadt genügend Auswahl an Werkstätten zu finden. Am Nachmittag landen wir auf dem städtischen Stellplatz. Zeit und einsetzender Regen machen einen Churros Snack in einer Bar unumgänglich.
Montag, 10.5.21
Die Suche nach einer Werkstatt beginnt schon am Morgen mit Hinweisen und Telefonaten von spanischen Dauercampern auf dem Stellplatz. Sie nennen uns Automechaniker in der näheren und weiteren Umgebung. Wenn es nach uns geht, sollen die Ersatzteile schnell beschafft, die Reparatur zügig erledigt und der Preis in unser Budget passen. Wir begeben uns auf die Suche. VW Werkstätten erfüllen alle drei Anforderungen nicht, kleine Hinterhof Schrauber schon eher. Bei der 6. one man Werkstatt passt alles. Der Anlasser und die Bremsbelege werden schnell geordert und bis in den Abend hinein verbaut. Sehr froh über diesen unkomplizierten Service fahren wir noch bis zum Dunkelwerden ostwärts.
Dienstag, 11.5.21
Endlich scheint wieder die Sonne. Wir fahren hoch hinaus in den Nationalpark Picos de Europa. Urplötzlich tauchen hohe, schneebedeckte Berge auf und die Landschaft gleicht der in den Alpen. Auf über 1000 m hören wir Kuhglocken, sehen saftig grüne Wiesen mit Christrosen und Enzian und im Wasser spiegeln sich die Gipfel der Berge. Wandernd umrunden wir die Bergseen.
Mittwoch, 12.5.21
Die Instabilität des Wetters lässt eine ausgedehnte Wanderung am Rio del Cares nicht zu. Schauerartig schüttet es. Wir wandern eine kleine Runde entlang des ehemaligen Versorgungsweges. Auf einer Länge von 12 km wurde vor 100 Jahren ein Wasserkanal mit 71 Tunneln in den Fels getrieben, um Wasser aus den oberen Bergregionen zur Energieversorgung zu nutzen. Wir gewinnen einen kleinen Einblick in diese unglaubliche Arbeit und in die Schönheit der Natur in der immer enger werdenden Schlucht. Dem Regen Wetter entrinnend, besuchen wir am Nachmittag in Santa del Mar die steinzeitliche Altamira Höhle. Vor rund 15000 Jahren entwarfen Künstler an die Decke ihrer Unterkunft farbige Zeichnungen von ihrem Leben und ihrer Jagdausbeute. In einem eigens dafür gefertigten Gebäude ist eine Kopie der Behausung mit samt ihrer Deckenkunst dargestellt.
Felszeichnungen in Altamira
Donnerstag, 13.5.21
Der Morgen gehört noch der Altstadt von Santa del Mar. Große Adelshäuser aus dem Mittelalter konkurrieren miteinander, eins ist schöner und größer als Andere und mit Blumen reich dekoriert. Dann beginnt es wieder zu regnen und wir verziehen uns östlich fahrend in einen IKEA nach Bilbao. Wir recherchieren und planen die nächsten Steps. Die Nacht verbringen wir auf einem Hügel oberhalb der Stadt.
Freitag, 14.5.21
Wie sehr Gebäude eine Stadt prägen wird an der Hauptstadt des Baskenlandes sehr deutlich. Ursprünglich durch den Hafen und seine Industrieanlagen geprägt, dominieren nun Bankenhochhäuser die Außenbereiche der Stadt und im Inneren das Guggenheim Museum, unser erstes und einziges Ziel des Tages. Die Architektur ist beeindruckend, innen wie außen. Über drei Etagen ist Kunst zu sehen, plastisch, dokumentarisch, filmisch und zeichnerisch. Die ältesten Darstellungen nicht älter als 100 Jahre. Dementsprechend groß ist der Interpretationsspielraum des Betrachters und die Frage, was Kunst ist, stellt sich nicht nur einmal. Etwas enttäuscht verlassen wir am Nachmittag das Gebäude.
Guggenheim Museum in Bilbao
Samstag, 15.5.21
Der Vormittag gehört dem Altstadtviertel von Bilbao mit seinen restaurierten Häusern, nach dem Mittag bringt uns eine Schwebefähre über den Rio del Bilbao. Wir fahren Richtung San Sebastian und kommen auf den Klippen kurz vor der französischen Grenze zum stehen. Es wird unsere letzte Nacht in Spanien sein. Einige Monate waren wir in diesem schönen Land mit seinen freundlichen, hilfsbereiten Menschen und den ausgesprochenen rücksichtsvollen Autofahrern. In uns reisen bleibende Eindrücke weiter mit: Hochebenen in der Mitte des Landes, der grüne Norden, die zahlreichen Pilgerwege, die betonierte und von Südfrüchten dominierte Mittelmeerküste, die Architektur der Mauren, die Lebenslust der Katalanen und Andalusier, die Surfspots des Atlantik, die super ausgebauten Straßen, die Kunst in den Museen und die Vielfältigkeit der Kanaren.
Comments (2)
Na wenn ihr keine Compostele bzw. keinen Heiligenschein bekommen habt, dann wandern wir nächstes Jahr nochmal gemeinsam alle Stempelstellen-Herbergen ab und holen uns den „Schein“ 2022. 🙂
Ich bin dabei! Birgit
Ein bisschen kommen mir die Tränen. All die Erinnerungen, die bei eurem Bericht und den Bildern aufsteigen. Wir hatten damals noch eine ganze Woche Zeit für Santiago. Es lohnt sich! Vielleicht andermal.
Jetzt kommt erst einmal gut weiter auf eurer langen, interessanten und intensiven Reise. Bleibt behütet!
Wir sind in Gedanken bei euch. Hanna und Matthias